Ich habe ein tolles Buch gelesen: „Der Freund“ von Sigrid Nunez. Über die Beziehung von Mensch und Tier, jedenfalls hat mir die Freundin es deshalb gegeben: Eine Frau erbt einen großen alten Hund, wirklich aufregend. Sie ist klein, ihre Wohnung in Manhattan ist klein, sie darf den Hund eigentlich nicht behalten, aber sie hofft, dass es gut geht. Allein mit diesem Riesenhund in den Strassen Gassi zu gehen, ihn mit ihrem eigenen Leib gegen die Autos zu abzuschirmen, wenn er mal muss.
Aber im Hintergrund auch noch eine interessante Diskussion über Literatur, Kunst, Demokratie, Aneignung von Schicksalen beim Schreiben, die Bedeutung schöner Sätze und guter Sprache. Da wird auch indirekt über die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexejewitsch gesprochen. Sie hatte ein Buch über die Schicksale der Frauen in der Sowjetunion geschrieben, vielleicht habt Ihr das mitbekommen. Sie hat die Frauen interviewt, sie selbst zu Wort kommen lassen. Es ist ein dokumentarisch-journalistisches Buch. Die Literaturkritiker waren sich nicht einig, ob das Literatur ist. Gleichzeitig wurde in Amerika eine junge, nur zu einem Viertel mexikanische Autorin durch die Mangel gedreht, weil sie es gewagt hatte über die Schicksale mexikanischer Immigranten zu schreiben. Das sei unrechtmäßige Aneignung fremden Leids. Ich habe gestern Nacht mit einem Freund darüber diskutiert. Er meinte, man müsse nicht Kaiser sein, wenn man über den Kaiser schreibt. Ich finde, man kann nicht immer politisch korrekt sein. Die Forderungen sind oft idiotisch. Was ist mit denen, die nicht schreiben können? Da gibt es noch viele. Soll ich deren Schicksal nicht beschreiben? Oder darf ich keine Figur beschreiben, die Ähnlichkeit hat mit dem achtzigjährigen Tischtennisspieler, dessen Wohnzimmer voll ist mit Pokalen und Trophäen, der aber verbal und schriftlich nicht besonders gut ist?
Fragen über Fragen.
Sigrid Nunez – Der Freund. Übersetzerin Anette Grube. Aufbau-Verlag, Januar 2020
Jutta